Wie geht man damit um, wenn man trotz langjährigen überragenden Arbeitseinsatz in seinem Job bei Nachfolgeregelungen übergangen wird? Wie findet man den Weg zurück zu mehr Anerkennung, mehr Motivation und Zufriedenheit mit sich selbst? Antworten dazu aus meinem neuesten Coachingfall.
„Ich habe mich jahrelang für die Kanzlei geopfert, habe mich um alles gekümmert, gehe oft als letzter aus dem Büro und kann nachts nicht gut schlafen, weil mir noch viele unerledigte Sachen aus dem Büro durch den Kopf gehen. Zum Dank werde ich jetzt bei der Besetzung der Nachfolge des Chefs nicht berücksichtigt. Was habe ich nur falsch gemacht? Bin ich nicht gut genug? Warum habe ich es nicht verdient?“ Mit diesen Worten begann mein Klient unser Coaching. Er war angestellter Steuerberater in einer mittelständischen Steuerkanzlei. Seit vielen Jahren war er neben der eigenständigen Betreuung seiner Mandanten auch für den organisatorischen Ablauf in der Kanzlei zuständig, darunter Personalwesen, Ausbildung, Qualitätsmanagement, Veranstaltungen sowie alle administrativen Aufgaben und die immer wichtiger werdende IT. Er war die gute Seele des Büros und schwer zu ersetzen. Bei der Nachfolgeregelung für seinen aus Altersgründen ausscheidenden Chef jedoch wurde er übergangen, obwohl er sich schon Hoffnungen gemacht hatte. Diese aber niemals klar kommuniziert hatte. Diese Tatsache führte bei ihm zu einer tiefen Enttäuschung, er fühlte sich ungerecht behandelt und zermarterte sich den Kopf. Er begann sich selbst Vorwürfe darüber zu machen, was er im Büro in den letzten Jahren falsch gemacht hatte.
„Ich habe mich jahrelang um alles in der Kanzlei gekümmert, war immer für andere da und habe persönlich auf vieles verzichtet. Aber anscheinend hat mein Chef das nicht gemerkt und nicht an mich gedacht, als es um seine Nachfolge ging. Bin ich wirklich so schlecht? Was mache ich nur falsch? Was machen die anderen besser als ich?“
Das Ziel unseres Coachings war der Umgang mit der Enttäuschung die er erlitten hatte und den daraus zu schließenden Schlussfolgerungen für seine weitere berufliche Karriere. Unter keinen Umständen wollte und konnte er so weitermachen wie bisher. Er wollte etwas ändern. Aber was?
In diesem Coachingfall trafen mehrere Themen zusammen, darunter ein geringes Selbstwertgefühl, also die Art und Weise, wie wir uns selbst beurteilen. Sie wirkt sich entscheidend darauf aus, ob wir beruflich erfolgreich sind und wie wir mit Herausforderungen umgehen. Das Selbstwertgefühl ist untrennbar verbunden mit dem Glauben an unsere eigenen Möglichkeiten. Menschen mit einem starken Selbstwertgefühl sind davon überzeugt, sich selbst und ihre Umwelt beeinflussen zu können. Sie leben nach dem Grundsatz: „Ich schaffe das“. Dieser Glaube versorgt sie mit Kraft und Energie macht es Ihnen überhaupt erst möglich, Schwierigkeiten und Herausforderungen zu bewältigen. Die Vorstellung über die positive Gestaltung der Zukunft ist bei den sog. „Mentalitätsmonstern“ die wesentliche Ursache dafür, dass diese positive Vorstellung dann auch tatsächlich so eintritt. Dieser Umstand ist auch bekannt als „Selbsterfüllende Prophezeiung“.
Bei Menschen mit geringem Selbstwertgefühl funktioniert die selbsterfüllende Prophezeiung auch – allerdings genau in die andere Richtung. Wer ein geringes Selbstwertgefühl hat, hält sich unentwegt die eigenen Schwächen und Fehler vor. Es fällt schwer, Komplimente anzunehmen und glückliche Momente zu genießen. Oftmals fühlt man sich auch unwohl dabei im Mittelpunkt zu stehen und denkt in vielen Situationen daran etwas falsch gemacht zu haben. Wer ein geringes Selbstwertgefühl hat, der sucht unbewusst nach Beweisen, die das mangelhafte Urteil über sich selbst stützen. Oftmals fehlen diesen Menschen Erfahrungen, in denen sie sich als erfolgreich erlebt haben. Momente, in denen sie feststellen konnten, dass sie durchaus in der Lage sind, Herausforderungen zu meistern.
Die Gründe für zu geringes Selbstwertgefühl resultieren oft aus der Kindheit und frühen Jugend. Eltern und Lehrern kommt in der Entwicklung eines gesunden Selbstwertgefühls eine besonders wichtige Rolle zu. Sie sind die ersten, die dem jungen Menschen vermitteln können, dass man wertvoll ist und geliebt wird. Das stärkt von innen heraus und verleiht Sicherheit. Fehlt dagegen ein respekt- und liebevoller Umgang und man wurde als Kind verspottet oder bloßgestellt, schadet dies dem Selbstwertgefühl. Man entwickelt negative Glaubenssätze, die uns unbewusst noch im Erwachsenenalter begleiten.
Zurück zum Coaching. Coaching bedeutet die Stärken von Menschen hervorzuheben und sie auf dem Weg aus der Jammerfalle, aus Kummer, Sorgen, Mutlosigkeit, Verdruss und Hilflosigkeit zu unterstützen. Raus aus der Krise und den Enttäuschungen. Wir begannen in einer Reihe mehrerer Coachingsessions mit der sog. Berufskonferenz. Die Berufskonferenz half meinem Klienten herauszufinden, was für ihn wirklich wichtig war in seinem Beruf – und wie zufrieden er in den unterschiedlichen Bereichen tatsächlich war. Anschließend erörterten wir die Erfolge, die er in den letzten Jahren durchaus erzielt hatte und entwickelten daraus gemeinsam seine durchaus vorhandenen Stärken und Kernkompetenzen, die ihn ja in der Kanzlei unersetzlich hatten werden lassen. Um seinen Selbstzweifeln näher auf den Grund zu kommen besprachen und visualisierten wir sein sog. inneres Team – die inneren Antreiber und inneren Stimmen, die jeder von uns in sich hat.
Zusammen mit den Ergebnissen aus unserem Coaching gab ich meinem Klienten die Aufgabe und die Instruktion zur intensiven Selbstreflexion auf den Weg. Warum war mir dies so wichtig? Selbstreflexion ist für viele Menschen heute zu einem wichtigen Bestandteil ihres Lebens geworden. Durch gesunde Selbstreflexion verstehen wir unser eigenes Verhalten besser und können Veränderungen selber einleiten. Wir können erkennen, was für unser Leben wesentlich ist und es auf unsere Agenda setzen. Wir können unsere Potenziale nutzen und uns weiterentwickeln. Wir können Selbstzweifel überwinden, eigenverantwortlich und selbstbestimmt handeln und so insgesamt zufriedener und glücklicher mit unserem Leben werden. Ich war gespannt was folgte.
Einige Zeit später meldete sich mein Klient bei mir zurück. Er bedankte sich für die wichtigen Impulse aus dem Coaching. Er hatte nach unserem Coaching das überfällige, sehr offene und klärende Gespräch mit seinem Chef geführt und in diesem seinen Frust über seine Situation und die fehlende Kommunikation erläutert. In dem Gespräch erläuterte ihm sein Chef, dass er seinen Einsatz für die Kanzlei, seine fachlichen und organisatorischen Fähigkeiten überaus schätze und dass die Kanzlei ohne ihn nicht so gut dastehen würde. Neben fachlichen und organisatorischen Fähigkeiten sollten allerdings auch sehr hohe soziale, kommunikative und Netzwerkfähigkeiten als Voraussetzung für die erfolgreiche Führung seiner Kanzlei vorhanden. Er habe Kandidaten kennengelernt, die gerade in diesen Bereichen hervorragenden Qualitäten mitbrachten und ihnen daher die Führung der Kanzlei eher zutraue. Zudem sehe er ihn viel eher in der überaus wichtigen Rolle des operativen Leiters der Kanzlei und bot ihm an darüber nachzudenken, ob und unter welchen verbesserten Umständen er weiterhin eine führende Rolle in der Kanzlei spielen möchte.
Nach diesem Gespräch hatte mein Mandant sich Zeit für die o.a. Selbstreflexion genommen. Er hatte sich über die Ursache seiner geringen Selbstwertgefühle Gedanken gemacht, wurde sich über seine Stärken und Interessen noch klarer und entwickelte daraus eine schriftliche Strategie für seine berufliche Zukunft, die für ihn selber sehr attraktiv und motivierend war, die seinen Stärken und Kernkompetenzen entsprach und die ihn zurück zu einer Gelassenheit führte, die er so in den letzten Jahren nicht gespürt hatte. Er freute sich nun wieder auf die Zeit in der Kanzlei, die ihm zudem auch mehr Zeit für sein privates Leben ermöglichen würde und war mit sich im Reinen.
Zum Schluss meine persönlichen Top 10, die ich meinem Klienten an die Hand gab wie man m.E. seine Selbstwertgefühle stärken kann:
Nimm Dir ausreichend Zeit zur Selbstreflexion
Erkenne Deine negativen Glaubenssätze, hinterfrage sie kritisch und löse dich von denen, die nicht richtig für dich sind. Erstelle positive Glaubenssätze und beginne, sie zu leben.
Erstelle eine Liste deiner Kernkompetenzen. Was sind deine Persönlichkeitsmerkmale, was sind deine Talente und deine Fachkenntnisse? Was kannst du wirklich gut? Woran hast du Spaß? Wobei vergisst du Zeit und Raum und bist im Flow?
Vergleiche dich nicht mit anderen. Dein Selbstwertgefühl sollte von innen kommen und nicht aus dem Vergleich mit anderen. Andere kochen auch nur mit Wasser – und da draußen laufen zudem sehr viele Blender herum.
Helfe deinen Mitmenschen – anderen etwas Gutes tun führt dazu, dass du dich selbst gut fühlst und steigert dein Selbstwertgefühl. Schreibe es auf.
Umgebe dich mit positiv denkenden Menschen und lass dich von ihnen anstecken. Lass dich nicht von der schlechten Laune der ewigen Nörgler anstecken.
Gehe nicht zu hart mit Dir ins Gericht und fühle dich nicht als Versager. Sei gut zu Dir.
Zeige Dich auf der Arbeit, in Meetings, auf Feiern etc. Melde dich zu Wort, mache Vorschläge und Anregungen. Werde gesehen. Werde positiv wahrgenommen.
Übernehme Verantwortung und erkenne kleine Erfolge. Stärken den Glauben an deine eigenen Fähigkeiten.
Dokumentiere kleine Erfolgserlebnisse.
Mein Mandant hatte jahrelang neben seiner Mandantentätigkeit die Steuerkanzlei operativ geführt, war das Mädchen für alles und wurde nun bei der Besetzung der Nachfolge des Chefs nicht berücksichtigt. Er haderte mit sich selber, war unzufrieden und suchte nach seinen Fehlern. Das Coaching aber versetzte ihn in die Lage, sich über die Ursache seiner geringen Selbstwertgefühle Gedanken zu machen. Er wurde sich durch unser Coaching und durch Selbstreflexion über seine Stärken und Interessen erstmalig klarer und entwickelte daraus eine schriftliche Strategie für seine berufliche Zukunft, die für ihn selber sehr attraktiv und motivierend war, die seinen Stärken und Kernkompetenzen entsprach und die ihn zurück zu einer Gelassenheit führte, die er so in den letzten Jahren nicht gespürt hatte. Er freute sich nun wieder auf die Zeit in der Kanzlei, die ihm zudem auch mehr Zeit für sein privates Leben ermöglichen würde und war mit sich im Reinen.
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