Wie kann man Krisen und Enttäuschungen im Berufsleben vermeiden? Oder gehören depressive Phasen einfach dazu? Und wenn ja, wie überwindet man sie?
Tobias, 31, saß mir in meiner Coaching Praxis gegenüber und erzählte mir von seinem Problem, das ihn zu mir gebracht hatte. Er hatte nach seinem Abitur, einem erfolgreich abgeschlossenem Studium und ein paar Jahren in einem Konzern gemeinsam mit Freunden ein B2B Software Startup gegründet. Ihr Ziel war es, ein nachhaltiges Unternehmen zu entwickeln und ihre Mitarbeiter zu fördern. Sie hatten bereits nach der ersten Produktentwicklungsphase erfolgreich Finanzinvestoren von Ihrer Geschäftsidee überzeugt.
Mit dem frischen Geld wurden Büroräume angemietet und neue Mitarbeiter eingestellt, um die Firma auf Wachstumskurs zu bringen. Vieles lief nach Plan, allerdings blieben die Erfolge bei der Kundenakquise weit hinter den Plänen zurück. Der Erfolgsdruck seitens der Investoren erhöhte sich. Tobias begann noch härter zu arbeiten als sonst, machte sich Tag und Nacht Gedanken warum zu wenig Kunden gewonnen wurden und was sie falsch machten. Er konnte nicht mehr richtig abschalten, fand immer weniger Schlaf und hatte kaum noch Kontakt zu seinen Freunden und Bekannten. An seine Hobbies war nicht mehr zu denken.
Er machte auf mich einen sehr erschöpften und frustrierten Eindruck und schien kurz davor zu sein zu resignieren. In unserem Coaching war es sein Ziel herauszufinden, ob er diese Krise hätte vermeiden können, wie er diese Krise durchsteht und was er ändern müsste, um sie zu überwinden um beim nächsten Mal besser damit umzugehen.
„Ich arbeite bis zum Umfallen und gebe mein Bestes. Aber der Erfolg bleibt aus. Ich habe schlaflose Nächte und Zukunftsängste um mein Unternehmen und meine tollen Mitarbeiter.“
Die verschiedenen Phasen und Emotionen, die wir bei allen Krisen, Enttäuschungen oder sonstigen komplexen Veränderungsprozessen durchlaufen, sind von Wissenschaftlern hinreichend erforscht und beschrieben worden.
(z.B. Joe B.Hurst und John W. Shepard: Das Roller Coaster Modell, Christian Faltin: Die typischen Phasen einer Enttäuschung; Erika Kübler-Ross: Die Kübler-Ross-Kurve des Wandels.)
Allen gleich sind 3 Phasen: die negativen Gefühle zu Beginn wie z.B. zu hohe Erwartungen, Vorahnung, Schock, Leugnung, Trauer, Wut, Aufgabe sowie Resignation und Depression. Danach folgen Phasen der Realisation, der Akzeptanz, des Verstehens, der Hoffnung und danach Phasen des Ausprobierens, von Überwindung, neuem Enthusiasmus sowie Erleuchtung. Vermeiden lassen sich diese Phasen nicht. Wir müssen uns schlecht fühlen und negative Gefühle erfahren und diese Emotionen akzeptieren. Denn sie sind das Zeichen dafür, dass wir uns in dem Veränderungs- bzw. Transformationsprozess befinden.
Erarbeitung von Bewältigungsstrategien
Anstatt Tobias Instrumente an die Hand zu geben, wie er seine aktuelle Situation angehen und überwinden könnte, schlug ich ihm ein Experiment vor. Er sollte seine Herausforderungen in der Zukunft antizipieren und Bewältigungsstrategien erarbeiten. Tobias bekam im Coaching die Aufgabe, die wesentlichen Challenges und Milestones zu definieren, die in den nächsten Wochen und Monaten konkret vor ihm und seinem Team lagen.
Im Anschluss daran gingen wir in einen 5 Jahre entfernten imaginären Zeitpunkt in der Zukunft. Ich fragte Tobias, was (rückblickend) alles dazu beigetragen hat, dass er und sein Team damals die Krise überwunden hatte und doch noch Kunden in ausreichender Anzahl akquiriert werden konnten. Welche Hebel er umgelegt hatte, welche Fähigkeiten er eingesetzt hatte. Wer ihn dabei unterstützt hatte (Business Angels, Investoren, Freunde, Bekannte, Coaches etc.) Auf welche Erfahrungen er zurückgreifen konnte und wie er sich jetzt, 5 Jahre später mit 36 Jahren in dieser Situation fühlt. Es kamen viele neue Ideen und Vorschläge aus ihm heraus, die er angehen wollte. Der imaginäre zeitliche Abstand sorgte dafür, dass die Dimension und das Gewicht seines aktuellen Problems viel kleiner wirkte als es jetzt auf ihm lastete. Er wirkte daher bereits kurz nach dem anstrengenden Coaching viel gelassener und motivierter, die Krisensituation anzugehen und zu meistern.
Zusätzlich gab ich ihm ein paar Hausaufgaben für den Umgang mit seiner Krise für die nächsten Wochen mit nach Hause. Auf der Liste fanden sich folgende Empfehlungen:
• Negative Gefühle akzeptieren, niemals verdrängen
• Ursachen ermitteln, weiter konstruktiv aufarbeiten
• Immer weiter machen. Nicht aufgeben
• Viel körperliche Bewegung. Stress abbauen
• Kopf frei machen durch Ablenkung. Spazieren gehen, Kochen, Kurzurlaub
• Gedanken sortieren und vieles davon täglich aufschreiben
• Positiv denken. Emotionen bewusst machen und aktiv begegnen
• Dankbarkeit zeigen. Jeden Tag bewusster (er)leben
• Austausch suchen. Mit Freunden und Ratgebern sprechen
• Konsequenzen ziehen. Aus der Krise/Enttäuschung.
• Aus Fehlern lernen. Und neuen Krisen/Enttäuschungen vorbeugen
4 Wochen später begegnete mir Tobias zum Folgecoaching in meiner Praxis. Er hatte sich meine Empfehlungen zu Herzen genommen. War ein paar Tage an die See gefahren, war viel spazieren gegangen, hatte die Seele baumeln lassen und sich und sein Leben reflektiert. Und danach mit frischem Elan und viel Achtsamkeit die Herausforderungen Punkt für Punkt strukturiert angegangen. Er hatte natürlich nicht alle Probleme in der kurzen Zeit lösen können, aber hatte einige wichtige Entscheidungen getroffen die dafür sorgten, dass sowohl Kundenwünsche stärker befolgt wurden, das Produkt weiterentwickelt wurde und mit Hilfe von erfahrenen “Netzwerkern” Türen zu neuen Kundengruppen geöffnet werden konnten. Der Anfang war gemacht und Tobias sah der Zukunft seines Startups nun wesentlich positiver ins Auge als noch vor ein paar Wochen.
Egal, warum wir gerade enttäuscht oder in einer Krise sind: Wir können jede Enttäuschung überwinden und lernen, damit konstruktiv umzugehen. Enttäuschungen gehören zum Leben. Wer dies akzeptiert, seine Emotionen im Griff behält und sich auf Ursachenforschung begibt, seine Ressourcen aktiviert und Bewältigungsstrategien erarbeitet, ist auf dem besten Weg, die Enttäuschung zu verarbeiten, damit bewusster umzugehen und diese schließlich zu bewältigen. Anders ausgedrückt: Wir können in unserer Enttäuschung ertrinken – oder lernen, darin zu schwimmen.
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